Die Äußerlichkeiten der Schokoladen

Man soll ja nicht (nur) nach dem Äußeren urteilen, aber üblicherweise ist die Kaufentscheidung bei Konsumwaren doch so: man greift zum Produkt mit dem ansprechendsten Design, der schönsten Verpackung, dem besonderen Etikett. Insbesondere bei Premiumprodukten ist diese Neigung stark ausgeprägt. Auch Manufakturschokoladenmacher:innen machen sich diese Tendenz auf ihre Art zu Nutze.

Chocolate Tree macht es vor

Verpackungen fungieren als wichtige Identifikationsstifter. Man denke an die Ikonen des Milka-Lila, des roten Lindt-Glöckchens und der Ritter-Sport-Quadratur (Ritter Sport hat auf die quadratische Schokoladentafel sogar einen Markenschutz und Milka verlor in langjährigem Rechtsstreit die Anfechtung davon). Es ist im Übrigen auch der Verpackung von Schokolade zu verdanken, dass der Valentinstag sein heutiges romantisches (und kommerzielles) Kleid hat, denn Mitte des 19. Jahrhunderts begann Richard Cadbury (Gründer des gleichnamigen Schokoladengiganten) Schokoladenboxen, aufwändig dekoriert und mit Schokoladen bestückt, zu verkaufen. Diese kitschigen Kartons und Schatullen wurden zu einem derartigen Publikumserfolg, dass im Wesentlichen Schokolade und Pralinen zu einem Symbol für romantische Avancen wurden. 

Es gibt Studiengänge und Fachinstitute, die sich wissenschaftlich mit der Verhaltenspsychologie von Konsument:innen auseinandersetzen. Im Wesentlichen treffen wir unsere Kaufentscheidungen — wenn man den Preisfaktor außen vor lässt — auf Basis von mehreren Faktoren. So sind es etwa farbenpsychologische Grundsätze, die mitbestimmend sind. Auch das kognitive Vermögen spielt eine Rolle: ein logischer und einfach verständlicher Informationsaufbau über das Produkt, die Wiedererkennbarkeit der Marke durch Logo, Schrift und Symbole und das Storytelling lenken unsere Empfindungen. Wie eine Verpackung sich anfühlt und wie sie funktioniert, hat ebenfalls einen Einfluss auf die Entscheidung. Signalisiert eine Verpackung durch das Material, Gravierungen oder besonderes Design, dass es sich um ein Premium-Produkt handelt, ist man eher zum Kauf verleitet, ebenso bei Besonderheiten wie Wiederverschließbarkeit. Zunehmend wird auch Nachhaltigkeit und Soziales zu Entscheidungsfaktoren, insofern als die Verpackung Auskunft über die ökologischen und sozialen Werte des Unternehmens gibt und wiederverwendbare bzw. umweltschonende Materialien verwendet werden. Auch Schokoladenmacher:innen schenken der Verpackung viel Aufmerksamkeit, da es eine Möglichkeit ist, hervorzustechen, sich mit überragender Qualität zu positionieren und Werte zu vermitteln. In Verbindung mit wiedererkennbarem Logo, ansprechender Bildsprache und kunstvollen Designs sind Pluspunkte gegenüber der Konkurrenz zu sammeln. 

Bei der Aufmachung von craft chocolate geht es insbesondere um Aufrichtigkeit, ohne dabei aber an Kreativität einzubüßen. Schokoladenmacher:innen möchten auf die exzellente Qualität ihrer Produkte aufmerksam machen, wollen die Herkunft der Kakaobohnen in den Vordergrund stellen und ihren Herstellungsprinzipien Ausdruck verleihen. Und das schaffen sie unter anderem auch durch visuell ausdrucksstarke Verpackungen, sei es durch farbenfrohe, extravagante, assoziative Typografien und Symbolik oder durch eine sachliche, schlichte Formgebung. Mirzam Chocolate versinnbildlicht die bedeutende Seefahrtstraditionen der arabischen Kulturen durch märchenhafte Zeichnungen von Schiffen und Handelsrouten vor Sternenhimmeln. Zotter arbeitet seit den 1990er-Jahren mit dem Künstler Andreas Gratze zusammen, der für die charakteristischen bunt-schrillen Zotter-Verpackungen verantwortlich zeichnet. Er übersetzt in oft humoristischer oder niedlicher Weise sehr farbenfroh das Thema der Schokolade bzw. deren Inhalt. So zeigt etwa die Eierlikör-Schokolade an der äußeren Papierschleife ein als Blume auf der Wiese stilisiertes aufgebrochenes Ei. Chocolate Trees clevere Verpackung lässt durch Aussparungen bereits Einblicke auf die darunter liegende Schokoladentafel zu — und stiftet somit eine appetitliche Extraportion Vorfreude. Ein reduziertes Gegenbeispiel sind etwa die Verpackungen von Krak Chocolade. Mark Schimmel, der Schokoladenmacher, verwendet braunes Kraftpapier, einen simplen Aufkleber mit Krak-Logo und bestempelt manuell die Tafeln mit der Bohnenherkunft. Auch Heinde & Verres Design besticht durch eine zurückhaltende Form, das auf hochwertigen, gefalteten Karton setzt. In dessen Mitte thront das markante Emblem, das an den Querschnitt einer Kakaoschote erinnert, und rund um das sich jeweils ein prägnanter Schokoladentafelname und der Kakaoursprung gruppieren. Die schönen Verpackungen haben daher auch einen weiteren Nebeneffekt: sie laden zum Aufheben ein, sie vielleicht am Kühlschrank oder an der Pinnwand zu montieren, um sie auch später noch einmal bewundern zu können als Verschönerungsartefakt im Zuhause.

Weil der Platz durch die geringe Größe der Schokoladentafel natürlich begrenzt ist und eine überladene Verpackung auch eher abschreckt als zur Fleißleseaufgabe verleitet, jedoch gerade auf den Angaben der Packung jene aufschlussreichen Informationen zu finden sind, die es ermöglichen, rasch zu identifizieren, ob es sich um eine Manufakturschokolade handelt, ist es ratsam, ein versiertes Auge dafür zu entwickeln. Um das den Lesenden an die Hand zu geben, kann dieser Leitfaden dienen:

Merkmale, die man finden sollte:

  • Name der Bean-to-bar Manufaktur

  • Kakaoprozentangabe

  • Schokoladenart 

  • Informationen zur Kakaobohne — Ursprung und Bezugsquelle sollten spezifischer sein als die bloße Nennung eines Landes, bspw. Nennung einer Kooperative oder Farm

  • Angaben zum Herstellungsprozess — Erläuterungen davon, wie geröstet, vermahlen und gegossen wurde, geben Aufschluss darüber, dass es sich um eine Manufaktur handelt, in der hands-on gearbeitet wird

  • Zutatenliste — die angeführt von Kakaobohnen sein sollte

  • („Batch number“ — was darauf schließen lässt, dass in kleinen Mengen und manuell produziert wird)

  • (Aromen — können hilfreich sein, können aber auch Verunsicherung stiften)

Merkmale, die auf der Schwarzen Liste stehen:

  • Zusätze wie Vanillin, E-Nummern, Emulgatoren, Pflanzenöle oder Butterreinfett

  • „Schokoladenmasse“ (wenn nicht näher definiert) und „Kakaopulver“

  • Unsinnige Phrasen wie „schokoladig“, „knackig“, „zartherb“

  • „Hergestellt von“ oder „Hergestellt für“

Einige Manufakturen in der bean-to-bar Welt gelten mit ihren formschönen Schokoladentafeln als schiere Ikonen, wie etwa Naive, SOMA, Karuna, Hogarth oder Feitoria do Cacao. Manche Tafeln sind so grazil, so voller Anmut, so delikat, dass sie fast zu schade für den Verzehr sind — fast! Das prächtige Auftreten der Verpackungen und Tafelformen ist eben auch getrieben von den Ansprüchen, etwas besonderes zu bieten. Manchmal stammen die Designs und Entwürfe davon von den oft selbst künstlerisch sehr begabten, sowieso kreativen Köpfen selber. Viele Schokoladenmacher:innen binden aber auch die Arbeit von Künstler:innen oder Grafikdesigner:innen ein, und bleiben auch in diesem Aspekt dem „Handwerklichen“ nahe. Häufig werden kulturelle Umstände der Hersteller:innen einbezogen, wie etwa bei Feitoria do Cacao, die mit ihren quadratischen, verschnörkelten Tafeln auf die allgegenwärtigen Fließen in Portugal hindeuten, oder die tollen floralen Karuna-Tafeln, die mit dem Paisley-artigen Design auf den Ausgangspunkt ihres Schokoladenschaffens in Indien anknüpfen. Bean-to-bar Schokolade weicht oft ganz bewusst vom fest definierten Bild einer rechteckigen, rippenförmigen Schokoladentafel ab, um sich von in prächtige Form gegossen von ihrer schönsten Seite zu zeigen. Schokolade bricht ja dort wo sie will, wenn man sie lässt. Warum also nicht der Schokolade ihren Willen lassen und sich auf die Zufälligkeit einlassen? Naives geschwungene, ganz und gar umgeometrische Form mit dem schon berühmten Einradfahrer entzieht sich augenzwinkernd fast gänzlich der Begrifflichkeit Schokoladentafel. Konfektionierte Schokoladenformen sind dennoch auch eine Preisfrage für die Manufakturen und nicht für alle einfach erschwinglich (selbst das den Namen in der Gießform anzubringen, ist für viele eine finanzielle Herausforderung). Daher kommt es durchaus vor, dass man auf Schokoladentafeln von unterschiedlichen Hersteller:innen trifft, die „gleich“ ausschauen. 

Schokoladenmacher:innen verleihen dem Auftreten ihrer Tafeln ihre eigene Handschrift und ihre Werte. Sie stechen hervor und locken mit Einzigartigkeit und Charakter. Sie informieren aber auch darüber, was sie inhaltlich unterscheidet und besser macht. Man muss sich also keineswegs genieren, wenn man den Äußerlichkeiten der Schokolade verfallen ist, und sich umso mehr darüber freuen, dass auch das darunter verborgene für Wohlgefallen sorgen wird.

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